Der Fliegenpilz – eine giftige Schönheit

Der Fliegenpilz – eine giftige Schönheit

Jeder kennt wohl das Kinderlied vom Männlein, das im Wald steht. Generationen von Kindern haben dabei einen Pilz mit rotem Hut und weißen Pünktchen vor Augen. Der Dichter August Hoffmann von Fallersleben, der den Text 1860 in der zweiten Veröffentlichung seiner „50 Kinderlieder“ vorstellte, dachte dabei jedoch nicht an einen ebenso schönen wie giftigen Pilz, sondern an die Hagebutte, die Scheinfrucht der Heckenrose. Bis heute singen die Kinder aber das Lied und stellen sich einen Pilz darunter vor, der 2022 der Pilz des Jahres ist.

Warum hat ausgerechnet der Fliegenpilz eine so große Anziehungskraft, sogar in einem Kinderlied? Das Männlein, das da still und stumm auf nur einem Bein mit seinem purpurroten Mäntelein im Wald steht, kann man sich auch nur schwerlich als Hagebutte vorstellen, der Fliegenpilz passt viel besser dazu.

Kein unschuldiger Waldbewohner

Kaum ein anderer Pilz ist so unübersehbar wie der Fliegenpilz mit seinem breiten roten Hut. Unschuldig schaut er aus dem Waldboden hervor und derjenige, der ihn entdeckt, muss wahrscheinlich unwillkürlich lächeln. Der Fliegenpilz weiß um seine Attraktivität und wächst gerne dort, wo die Sonne scheint und wo er garantiert entdeckt wird. So unschuldig wie es den Anschein hat, ist der Fliegenpilz leider nicht, eher ist das Gegenteil der Fall. Gilt der Pilz doch unter Förstern, Waldspaziergängern und Pilzsammlern als eine Art „Homme fatale“ des Waldes. Trotzdem hat die Deutsche Gesellschaft für Mykologie den Fliegenpilz im Jahr ihres 100-jährigen Bestehens zum Pilz des Jahres gemacht.

Wenn der Regen nachgelassen hat, zeigt sich der Pilz mit dem roten Mäntelein, was in den vergangenen Wochen häufiger der Fall war. Die Gesellschaft der Pilzfreunde ruft sogar dazu auf, dass wer einen Fliegenpilz entdeckt, ihn auf der Internetseite zu melden, da dieser schöne Pilz ein echter Glücksfall für jeden Wald ist.

Ein echter Glückspilz

Wie kann ein so giftiger Pilz ein Glücksbringer sein? Ganz einfach, weil er für das Ökosystem des Forstes unverzichtbar ist. Der Fliegenpilz hat die gute Angewohnheit, mit vielen Bäumen eine sogenannte Symbiose einzugehen. Diese Form der Lebensgemeinschaft profitiert voneinander, indem der Pilz von seinem Partner, dem Baum, Zuckerbausteine bekommt, die er selbst, aufgrund seiner Unfähigkeit zur Fotosynthese, nicht selbst produzieren kann. Der Pilz unterstützt den Baum bei der Versorgung mit Wasser und mit Nährstoffen. Zusätzlich filtert der Pilz Schadstoffe und schützt die Bäume auf diese Weise vor vielen Krankheitserregern. Besonders gut funktioniert die Partnerschaft des Pilzes, der übrigens mehr mit einem Tier als mit einer Pflanze verwandt ist, mit Birken und Fichten.

Diese harmlose, aber sinnvolle Verbindung ist mit ein Grund, warum der Fliegenpilz neben dem Anker, dem Marienkäfer, dem Schornsteinfeger und dem vierblättrigen Kleeblatt das beliebteste Glückssymbol ist.

Der Fliegenpilz als Emporkömmling

Wer als Glückspilz bezeichnet wird, hat, so scheint es, das Glück für sich gepachtet. Allerdings war das nicht immer so, denn es gab tatsächlich eine Zeit, da war das Wort Glückspilz ein Schimpfwort. Im 19. Jahrhundert wurde so ein Emporkömmling bezeichnet, ein Parvenü, der gerne, auch mal auf Kosten anderer, nach oben gekommen ist. Ganz so wie der Pilz, der aus dem Waldboden kommt und mit der Hilfe eines Anderen, in diesem Fall einem Baum, ein gutes Leben führt. Erst später wurde der Fliegenpilz auf Zeichnungen als Glückspilz stilisiert, heute hat er seine negative Bedeutung aber verloren.

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Der giftige Schönling

Wer den Fliegenpilz im Wald betrachtet, wird ihn als eine schöne Pflanze wahrnehmen, aber unter einer schönen Oberfläche verbirgt sich ein Pilz, der sehr gefährlich werden kann. Fliegenpilze enthalten Ibotensäure, aus der sich Muscimol bildet, wenn die Säure zu lange gelagert wird. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes psychotropes Alkaloid, also eine Substanz, die eine berauschende Wirkung hat. Diese Tatsache hat dem Fliegenpilz zu einem gewissen Kultstatus verholfen, zumindest bei den Schamanen im fernen Sibirien. Bereits im 18. Jahrhundert bemerkten Kaufleute und Forscher, die in diesem entlegenen Teil Russlands unterwegs waren, dass die Pilze sogar als Tauschmittel gegen kostbare Zobelpelze im Umlauf waren.

In den Regionen Sibiriens, wo es bis heute kaum Wälder gibt, war der Pilz Mangelware und wurde entsprechend teuer gehandelt. Da er für die schamanischen Rituale unerlässlich war, ließen es sich die Schamanen oder heiligen Männer einiges kosten, um an die berauschenden Fliegenpilze zu kommen.

Ein seltsames Erlebnis

Nur sorgfältig ausgewählten Personen war es erlaubt, den Pilz zu sich zu nehmen. Mithilfe der Pilze sollten sie in der Lage sein, mit Geistern in Verbindung zu treten. Die Forscher und Händler, die Zeugen der Rituale wurden, berichten von wilden, unkontrollierten Tänzen, die durchaus einen hohen Spaßfaktor hatten. Nach dem Tanz fielen die Geisterbeschwörer in einen tiefen Schlaf. Personen, die unter den Schamanen nicht so hoch angesehen waren, durften den Pilz nicht essen. Ihnen war es lediglich erlaubt, den Urin der Pilzesser zu trinken, aber selbst dieser soll noch eine überraschende Wirkung gehabt haben.

Von jeglicher Form der Nachahmung ist nur dringend abzuraten, denn die Pilzmenge, die damals gegessen wurde, ist nicht bekannt. Unbekannt ist auch, wie viele nach dem Genuss der Pilze nicht mehr aus ihrem Tiefschlaf erwacht sind. Der Fliegenpilz war und ist ein Pilz, der schnell lebensgefährlich werden kann.

Welche Symptome treten bei einer Vergiftung auf?

Wer auch nur kleine Teile des Fliegenpilzes isst, wird nach 30 Minuten bis zu zwei Stunden die ersten Symptome bekommen. Das Gift sorgt für Verwirrtheit, für Müdigkeit und für anhaltenden Schwindel. Dazu gesellen sich sowohl eine visuelle als auch auditive Überempfindlichkeit der Sinne. Die Betroffenen sehen plötzlich alles verzerrt und ihnen fehlt das Zeitgefühl. Sie können nicht mehr klar sprechen, sind unruhig und haben zudem Koordinationsprobleme. Bei einer Überdosis führt das Gift zum Tod durch Herzversagen.

Fazit

Die Schönheiten des Waldes sollten immer dort stehen bleiben, wo sie zu Hause sind. Der Fliegenpilz ist für den Wald und sein empfindliches Ökosystem von großer Bedeutung, aber er ist keine Droge, von der Menschen einen Rausch bekommen. In Sibirien wird der Fliegenpilz immer noch als genießbarer Pilz gesehen. Die Menschen sammeln die Pilze im Sommer, essen sie roh oder legen sie in Wasser ein, um den Sud dann um Winter zu trinken. Auf jeden Fall ist es besser, den Fliegenpilz als einen Glücksbringer zu betrachten und stattdessen lieber einen leckeren und vor allem ungiftigen Hagebuttentee zu trinken.

Bild: @ depositphotos.com / CorriSeizinger